Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

„Nicht alles nur Blut und Katastrophe“: 14 Stunden unterwegs mit den Luftrettern

„Nicht alles nur Blut und Katastrophe“: 14 Stunden unterwegs mit den Luftrettern

Atemnot, 61-jähriger Patient. Die Leitstelle reißt die Crew um 10.13 Uhr aus dem Frühstück. Hauke, den Notarzt, Ingo, den Piloten, Torsten, den Rettungssanitäter. Schuhe an, im Laufschritt durch die Flugzeughalle. Helm auf, anschnallen. Vier Minuten später hebt Rettungshubschrauber „Christoph Weser“ ab, geht steil hoch auf 250 Meter, brettert über Häuser, Weser, Gärten, Häuser.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Auf der Suche nach geeignetem Landeplatz: Wenn die Luftretter gerufen werden, geht es um Zeit.

Auf der Suche nach geeignetem Landeplatz: Wenn die Luftretter gerufen werden, geht es um Zeit.

Quelle: Saskia Heinze

Sieben Minuten später. Landeplatz 23 ist erreicht. Oder auch: ein kleines Stück Wiese am Stadtrand. Dieses Mal ist der Rettungswagen schon da – aber ohne Notarzt. Hauke soll nur schnell beurteilen, welches Medikament es braucht, damit der Patient es bis zur nächsten Klinik schafft. „Solche Einsätze kommen oft vor“, erklärt Torsten, als der Hubschrauber um 11.02 Uhr wieder am Flughafen landet. „Es ist nicht alles nur Blut und Katastrophe.“

600 bis 700 mal hebt „Christoph Weser“ jährlich aus Bremen ab. Im Notfall zählt jede Sekunde. Die Luftretter versorgen schwerstverletzte Patienten und fliegen sie so schnell es geht in eine passende Klinik. Den Lkw-Fahrer nach dem Crash auf der Autobahn. Das mit dem RS-Virus angesteckte Kind mit Atemnot. Sie eilen zu Bränden, kümmern sich um eingeklemmte Gliedmaße, komplizierte Brüche, Herzinfarkte. Die Leitstelle ruft „Christoph Weser“ auch, wenn alle Rettungsfahrzeuge am Boden bereits belegt sind.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Zwei Drittel der Einsätze seien mittlerweile aber „sekundär“: Das heißt, „Christoph Weser“ bringt bereits erstversorgte Intensivpatienten von einer Klinik in eine andere. Aus Kapazitätsgründen und weil nicht jedes Krankenhaus alles kann. Weil beispielsweise ein Herzinfarkt-Patient aus einem Kreiskrankenhaus im ländlichen Gebiet eine Bypass-OP in einer städtischen Spezialklinik benötigt. Ein Kind mit schweren Verbrennungen von der Einsatzstelle in eine große Kinderklinik verlegt wird. Oder ein Patient nach schwerer Lungenentzündung von der Intensiv in eine weit entfernte Rehaklinik kommt, um wieder ohne Unterstützung atmen zu lernen.

Rund 500 Kilometer Flugstrecke sind mit einer Tankfüllung von Bremen aus drin, mit maximal 270 Kilometer pro Stunde. Oft geht es für „Christoph Weser“ quer durch Niedersachsen, um Patienten zu verlegen – gerade zur Urlaubszeit im Sommer beispielsweise regelmäßig auf die Nordseeinseln. 45 Minuten dauert es von Bremen nach Borkum. Vor kurzem seien sie zu einer Verlegung eines Schlaganfall-Patienten nach Helgoland gerufen worden. Aber auch an die Küste, nach Cuxhaven – für einen zügigen Transport nach Lüdenscheid nahe Dortmund. Flugzeit, hin und zurück: drei Stunden. „Solche Entfernungen sind für uns relativ normal“, erklärt Pilot Torsten.

Zwei Stunden vergehen auf der Bremer Station, da piept es wieder. Die Leitstelle gibt durch: Ein Patient, Anfang 60, bewusstlos, beatmet, 94 Kilogramm schwer, war am Morgen bei der Arbeit zusammengebrochen, Ursache unklar. „Weniger zeitkritisch“, erklärt Torsten mit Blick aufs Handy. „Klassisch sekundär“. Damit die Intensivstation im Bremer Stadtgebiet freie Betten bekommt, soll dieser Patient in eine weniger beanspruchte im Umland verlegt werden. Pilot Ingo checkt schnell das Wetter, bei zu tiefen Wolken dürfen sie nicht starten. Aber: „Alles stabil“. Nach achtzehn Minuten hebt der Hubschrauber erneut ab.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Intensivpflichtige Patienten werden für den Transport auf eine Trage umgebettet und in den Hubschrauber geschoben.

Intensivpflichtige Patienten werden für den Transport auf eine Trage umgebettet und in den Hubschrauber geschoben.

Quelle: Saskia Heinze

„Wollen wir mal eben umheben?“, fragt der Rettungssanitäter wenige Minuten später. Der Bewusstlose wird neu verkabelt. Zugänge und Beatmungsgerät werden getauscht. Dann schieben die Luftretter den Patienten auf der Trage in den Hubschrauber.

Der bekommt vom Acht-Minuten-Flug zur 40 Kilometer entfernten Klinik nichts mit. Nichts vom Knattern und Brummen. Vom Blick über Häuser, Hafen, Wiese, Wald. Auch nichts davon, dass nach der Ankunft erneut die Kabel getauscht und die Geräte gewechselt werden, dass der Hubschrauber-Notarzt dem Personal dort seine Krankheitsgeschichte erzählt. Es ist bisher nicht wirklich klar, wieso er überhaupt am Morgen zusammengebrochen war.

Rückflug. Es ist windig, das spürt auch der Magen. Um 15.46 Uhr geht es wieder auf Station. Zwei Stunden dauerte der Einsatz. „Starker Kaffee?“, fragt der Pilot in die Runde. Das soll gegen die Übelkeit helfen. Künftig dürften solche zeitintensiven und kräftezehrenden Verlegungen der Intensivpatienten von Klinik zu Klinik noch deutlich zunehmen, erzählt die Crew. Gerade durch die Zentralisierung der Krankenhäuser.

So sieht das auch die DRF Luftrettung, und zwar für ganz Deutschland. Eine Stellungnahme von Anfang Januar 2025 macht deutlich: Man muss sich auf eine steigende Anzahl an Verlegungstransporten vorbereiten - auch durch Hubschrauber.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auf den ersten Blick sei Deutschland zwar gut aufgestellt, mit bundesweit 94 Rettungshubschraubern im Einsatz. Es gebe aber, gerade im ländlichen Bereich, immer noch „weiße Flecken“. Also Regionen, wo der Rettungsdienst am Boden im Notfall eben nicht innerhalb weniger Minuten vor Ort sein kann. Und Patienten mit Schlaganfall nach dem Notrufeingang eben nicht innerhalb einer Stunde in eine geeignete Klinik geflogen werden können.

Bei Dunkelheit dürfen deutschlandweit bislang nur 18 Hubschrauber fliegen. Das sieht die DRF Luftrettung als Problem - gerade in den Wintermonaten, wenn es schon nachmittags dämmert. Rein technisch sei eine Umstellung auf einen 24-Stunden-Betrieb möglich. Einsätze bei Dunkelheit seien heutzutage genauso sicher wie bei Tageslicht - sowohl bei Verlegungsflügen als auch Notfalleinsätzen. Dafür müsste das Innenministerium des jeweiligen Bundeslandes allerdings die Regularien ändern.

Mit der Krankenhausreform gehe der Trend zudem vielmehr dahin, dass zahlreiche kleinere Krankenhäuser schließen. Dafür bekommen spezialisierte Zentren in städtischen Gebieten mehr Gewicht. Was dann auch bedeutet: Die Transportwege werden für manche Patienten und Patientinnen länger – vor allem diejenigen, die auf dem Land leben.

Keine Zeit verlieren: Im Laufschritt geht es durch die Flugzeughalle. Parallel besprechen die Luftretter Infos zum Flug und zum Zustand der Patientin.

Keine Zeit verlieren: Im Laufschritt geht es durch die Flugzeughalle. Parallel besprechen die Luftretter Infos zum Flug und zum Zustand der Patientin.

Quelle: Saskia Heinze

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wieder Alarm, 16.47 Uhr. Wirklich zeitkritisch. Eine Patientin mit einem Aneurysma an der Aorta, zufällig bei einer Routineuntersuchung entdeckt. Platzt das, erklären die Luftretter, während sie im Stechschritt zum Hubschrauber eilen, führt das innerhalb von Sekunden zum Tod. Wenn das während des Fluges passiert? „Da kannst du nichts mehr machen“, sagt Torsten.

Fluss, Felder, Windräder, Meer. Erstes Ziel: Bremerhaven. Kurzer Schlagabtausch mit den Angehörigen in der Klinik. Man wolle doch noch Handy und Wechselklamotten mitgeben. „Dafür ist bei so einem Notfall wirklich keine Zeit“, erklärt ihnen der Sanitäter. Die Patientin soll schnellstmöglich operiert werden. In Hamburg, eine halbe Stunde Flugzeit entfernt.

Pilot Ingo Reckermann im Anflug auf das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Pilot Ingo Reckermann im Anflug auf das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Quelle: Saskia Heinze

Wiesen, Altes Land, etwas Regen, wieder Wind, wieder Übelkeit, Elbe. Vorbei am Stadion, am Zoo, an der Elbphilharmonie. Der Pilot wird konzentrierter. In Hamburg ist mehr los: noch ein Hubschrauber, Passagiermaschine, Transportflieger. Die Patientin? Bleibt stabil bis zum Universitätsklinikum. Notarzt und Rettungssanitäter sind bei ihr auf der Rückbank. Der Monitor piept gleichmäßig.

Ankunft im Schockraum. Das Gegenteil von ruhig. Der Chefarzt begrüßt die Crew, das habt ihr gut gemacht, Tomografie soll direkt losgehen, dann OP. Sechs Menschen in Kittel wuseln durch den Raum. Prognose? Schwer zu sagen. Der Job der Luftretter ist an dieser Stelle getan. „In den allermeisten Fällen bekommen wir nicht mit, wie es mit den Patienten weitergeht“, sagt Torsten. Sie hätten gar nicht die Zeit, sich nach all den Schicksalen zu erkundigen. „Es gibt da wirklich manchmal eine falsche Vorstellung vom Berufsbild.“

Rettungssanitäter Torsten Freitag schiebt die Trage vom Schockraum zurück zur Landeplattform.

Rettungssanitäter Torsten Freitag schiebt die Trage vom Schockraum zurück zur Landeplattform.

Quelle: Saskia Heinze

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Er habe häufig das Gefühl, dass die Arbeit der Luftretter nicht richtig verstanden werde. Etwa dann, wenn der Hubschrauber unter Zeitdruck auf einem Privatgrundstück landet – und Anwohner sich maximal empört zeigen über eine zerbrochene Vase oder Abdrücke auf dem Rasen. Wenn sie zu einem Unfall eilen und sich drumherum eine Menschentraube bildet, die ungefragt Fotos und Videos macht, von Verletzten, vom Team und damit nicht zuletzt den Rettungseinsatz behindern. Aber auch, wenn sie alarmiert werden und sich vor Ort herausstellt, dass der Notfall gar kein Notfall ist.

Bei einem Notfall ist die frühzeitige Alarmierung des Notrufs 112 entscheidend. Notfälle sind, so erklärt es das Deutsche Rote Kreuz, neben schweren Unfallverletzungen auch lebensbedrohliche akute Erkrankungen oder Vergiftungen, bei denen die Anwendung lebensrettender Maßnahmen im Vordergrund stehen. Lebensbedrohende Zustände sind unter anderem Atemstillstand, Herz-Kreislaufstillstand, Schock, starke Blutungen und starke Verbrennungen.

18.54 Uhr. Die Crew landet wieder am Bremer Flughafen. Jetzt hoffen sie auf Ruhe. Um die Einsätze zu dokumentieren. Material, medizinische Ausrüstung und Technik zu checken. Etwas zu essen, auf die Toilette zu gehen. Vielleicht ein bisschen Fitnessraum, Tischtennis, Fußball gucken. Es gibt Tage, da passiert nicht viel. Meistens rücken sie aber nach acht Uhr morgens mindestens dreimal aus – so wie in dieser Schicht.

Bis zum Sonnenuntergang sind die Luftretter noch rufbereit. Danach darf ihr Helikopter nicht mehr fliegen, so lautet die Vorschrift. Ob sich jetzt wohl noch die Leitstelle meldet? Unwahrscheinlich, mutmaßen sie. Aber möglich sei immer alles.

rnd

rnd

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow